1. ich unterschiede zwischen vatikan, kirche vor ort, und religion an sich.

    der VATIKAN...
    ...hat seine berechtigung und seinen unbestreitbaren wert als hüter der reinen lehre, damit sie nicht vom wechselnden zeitgeist verfälscht und über die jahrhunderte unkenntlich wird. der vatikan liefert aber lediglich anregungen zur geistigen auseinandersetzung mit dem alltag und dem eigenen moralischen standpunkt. übersetzt die lehre in die jeweils aktuelle sprache. deshalb eignet sich auch latein zur dokumentation, da es eine tote sprache ist, die nicht mehr gesprochen und sich folglich nicht mehr weiterentwickelt und verändert.

    wer sich dann darüber hinaus vom vatikan ins alltägliche praktische leben reinreden läßt, ohne die botschaften für sich zu reflektieren und in die eigenen maßstäbe einzuordnen, ist es wahrlich selbst schuld und hat sich vermutlich noch nicht auf die reise zu sich selbst gemacht.

    in der KIRCHE VOR ORT...
    ...(pfarre/gemeinde um die ecke) versuchen dagegen leute, sich ums praktische wohlergehen der gemeinde kümmern. die sind nicht perfekt, haben ihre macken, ihre eigenen lebensleidenswege, die auch immer in ihre arbeit hineinspielen wie bei jedem von uns, aber sie bemühen sich, und es ist ihnen eben nicht egal, wie es anderen geht und ob die vor die hunde gehen. sie bieten eine hand, wenn man sie denn ergreifen will. die größe, für sich selbst zu entscheiden, ob man mit dem angebotenen dann zu 100% einverstanden ist oder nur 1%, muß man jedoch selbst entwickeln. das kann einem niemand abnehmen.

    RELIGION...
    ...schließlich ist keine fest(gefahren)e ideologie, die sich irgendjemand clever ausgedacht hat, um leute zu knechten. eine religion kann zwar zu so etwas benutzt werden, wenn leute dumm und bequem genug sind, sich dadurch knechten zu lassen. jede religion kann mißbraucht werden, indem man sie einseitig auslegt und daraus zwingende einseitige maßnahmen folgert.

    "religio" ist aber eigentlich die eigene quelle; die rückbesinnung auf das, was einen selbst ausmacht. werte, maßstäbe, ansichten, einordnung. derer wird man sich (wieder) bewußt durch sich-zurückziehen, stille einkehr, meditation, zeit für sich selbst. von mir aus nennt es "beten".
    was ich der (mich prägenden, katholischen) kirche vorwerfe, ist daß sie in ihren eigenen vokabeln spricht, aber es versäumt, diese vokabeln dem unbedarften menschen auch zu übersetzen. ihn dadurch der weisheit der bibel wie der eigenen quelle entfremdet. sowas kann absicht sein, um religion zu machtzwecken zu mißbrauchen. es kann aber auch schlampigkeit sein, weil einem selbst das ganze derart selbstverständlich geworden ist, das man sich eine andere auslegung garnicht mehr vorstellen kann.
    oder vielleicht man nimmt an, daß ein junger mensch die dimension noch nicht versteht, in späteren zeiten der erkenntnis dann aber bereits das rüstzeug hat.
    nur daß dann viele die verbindung zwischen erkenntnis und rüstzeug nicht hinbekommen mangels "sprachverständnis".


  2. wer die bibel nur wortwörtlich deutet, wird ihre eigentlichen (= die ihr eigenen) aussagen und ihre weisheit nie verstehen. für mich ist die bibel eine sammlung von metaphern, von geballter lebensweisheit, nicht mehr und nicht weniger. getreu dem alten satz "ein bild sagt mehr als tausend worte" und der erkenntnis, daß sprache sich wandelt, aber archaische/archetypische bilder bestehen bleiben.
    wer es nicht glaubt, möge sich mit traumdeutung befassen und sich anschließend nochmal die bibel zu gemüte führen.

    was zum beispiel, wenn die schöpfungsgeschichte, die apokalypse, die dreieinigkeit, selbst die geschichte von jesus und den zwölf aposteln nur ein metapher wäre? wäre die jeweilige botschaft dann weniger wert?

    wie ich es mittlerweile verstehe:

      gott ist keine person. gott ist alles um uns herum. was war, was ist, was sein wird. gott ist das leben. deshalb auch das gebot: 'du sollst dir kein [einengendes] (ab)bild von gott machen'.

      gebote sind keine befehle, kein zwang. sondern empfehlungen. wohlwissend, daß menschen nicht perfekt sind, sondern fehler machen, umfallen, irrwege gehen. gebote geben orientierung im entscheidungsdschungel des alltags.

      zu gott sprechen = sich auf sich selbst besinnen. sich das jüngere geschehen und den alltag in erinnerung rufen und für sich ordnen. eigene maßstäbe überdenken.

      dreieinigkeit (vater, sohn und heiliger geist) = heiliger geist ist die quelle der ideen. vater ist der (er)zeugende teil, der etwas auf den weg bringt. sohn ist das realität gewordene ergebnis daraus.

      'jesus' ist der fleischgewordene sohn gottes = das umgesetzte ergebnis einer idee.

      leidensweg/das kreuz auf sich nehmen = man kann der wirklichkeit nicht entfliehen. früher oder später muß man sich ihr stellen und den ehrlichen weg mit allen seinen lasten gehen, wenn man ihn zuende gehen und beenden will, sonst läuft es einem ewig nach.

      gekreuzigt, gestorben und begraben = abgeschlossen, beiseitegelegt, sich um ganz was anderes gekümmert

      am dritten tage auferstanden von den toten = eine sache, ein erlebnis, ein geschehen braucht drei tage, um seelisch verarbeitet/ausgekostet zu werden. danach hat es seinen reiz verloren und man ist offen für neues.

      aufgefahren in den himmel = die erkenntnis/folgerung aus dem erlebten wird zu einem gedanken, einer erinnerung. einer erfahrung, aus der man für ähnliche situationen schöpfen kann.

      dort sitzt er zur rechten gottes... = bei vorwiegend rechtshändern ist die rechte hand diejenige, die etwas ausführt.

      ...unseres vaters = s.o.

      und seinem eingeborenen sohn, unserem herrn jesu christi = s.o.

      von dort wird er kommen, zu richten... = die gemachten lebenserfahrungen geben einem die fähigkeit, zwischen gut und schlecht für einen selbst zu unterscheiden.

      ... die lebenden... = das, was noch im gange ist und sich entwickelt

      ...und die toten = das, was abgeschlossen ist und als ergebnis vorliegt

      jesus hat zu mir gesprochen = ich hatte eine eingebung, eine idee.

      jesus christus = christus nach einer prophezeiung im griechischen raum, daß ein gekreuzigter/gesalbter die welt erlösen werde von ihrem leid.
      als interpretierte metapher, daß die idee umgesetzt wurde und das ergebnis an seinem 'lebens'ende eine erfahrung bringt, aus der eine neue idee entsteht. man entwickelt sich weiter. das sterben des alten entwicklungsstandes ist die keimzelle des neuen, verbesserten entwicklungstsandes.


  3. sich als reaktion auf ehrlich empfundenem unmut über die auswirkung (unreflektiert übernommener) selbstentfremdender vorgaben einfach eine andere religion zu suchen, die einem besser in den kram paßt, halte ich für selbstbetrug.
    so wie satan-ismus nur für die 1:1 gespiegelte kehrseite desselben ist. etwas ins gegenteil zu verkehren ändert noch nicht das wesen einer sache, denn beide seiten gehören zusammen. das eine kann ohne das andere nicht wahrgenommen und eingeordnet werden. wüßten wir nicht, was ein tag ist, könnten wir der nacht nichts abgewinnen. erst wenn man nicht einfach tagsüber schläft und stattdessen nachts auf tour geht, sondern versuchsweise abends eine stunde länger wachbleibt, kann man erfahren, ob und welche änderung einem hilft.

    für mich ist eine "ich bin jetzt satanist/buddhist/hare krishna/etc, denn der vatikan ist ja so verlogen"-reaktion nur ein "weiter-so" der alten unreflektierten vorgaben in bloß anderer uniform.


* zangadang 2005